Ich beginne diese Rezension mit einer Liebeserklärung. Vor genau zwei Wochen hatte ich das außerordentliche Vergnügen, das englisch-amerikanische Duo Son of Town Hall live zu erleben. Ihr Konzert auf einem Schiff der Weißen Flotte im Rahmen des Düsseldorf Festivals war im wahrsten Sinne des Wortes Entertainment zum Verlieben. Und zwar auf den ersten Blick und auf den ersten bis letzten Ton.
Zwei sympathische, den Menschen zugewandte Männer, zwei akustische Gitarren, zwei sich wundervoll ergänzende Stimmen, mehr brauchte es nicht für eine Gänsehaut nach der anderen und herzhaftes Lachen zwischendurch. Ihr begeisternder Auftritt stellte eine Mischung aus warmherzigstem Folk, motivierenden Singalong-Aufrufen ans Publikum und Interaktion voller Esprit und Humor dar – charmant, originell, mitreißend, einzigartig. Kein Wunder, dass sich der Engländer Ben Parker und der Amerikaner David Berkeley binnen eines Jahres zu Publikumslieblingen des Festivals entwickelt haben und dass diesen beiden Songbirds überall bei ihren Gigs die Herzen zufliegen.
An diesem Abend präsentierte das Duo, dem man jede Sekunde die Freude am eigenen Tun anmerkte, ihr Debütalbum „The Adventures of Son of Town Hall“ (offizieller VÖ 1.11.2019), das für mich bereits jetzt das herausragende Folkalbum des Jahres ist. Weil es herzerwärmende Melodien, wunderbaren Harmoniegesang und lyrisches Storytelling in kongenialer Weise vereint.
Die melodische Klammer des Albums bilden die beiden Instrumentalstücke „Ship’s Harmonium“ zu Beginn und „Ship’s Harmonium“ am Ende, die sozusagen die Segel des musikalischen Abenteuers setzen, dessen Songs zu Wasser wie zu Lande den Kompass des Werks bilden. Danach beginnt die Exkursion sinnvollerweise mit einer Ode an „St. Christopher“, den Schutzheiligen aller Reisenden. Eine melancholische Perle mit sanften Streichern und Pianoakkorden zur Begleitung der Folkgitarren.
Es folgt das großartige „The Line Between“, das diesen Freitag als Single veröffentlicht wird. Der wunderschöne Refrain mit dem perfekten Harmoniegesang geht unter die Haut. Ein euphorischer Song, der zum Besten gehört, was ich dieses Jahr im Folk gehört habe. Danach geht’s raus aufs Meer zu „Poseidon“, der in dieser wehmütigen Ballade geehrt wird. Das immer wiederkehrende „Odeli“ war beim Konzert eine der inbrünstig dargebotenen Mitsingzeilen. Die Lieder der Väter, die diese auf See sangen, werden hier beschworen, im Songsetting mit fein gesetzten Bläsern.
Überhaupt ist die Instrumentierung des Albums mehr als gelungen. Mal feierlich orchestral wie in besagter Hymne an den Meeresgott, mal fein akzentuiert wie in der ersten Singleauskopplung „California“, die wiederum mit umwerfendem Harmoniegesang (don’t you shed no tear for me, Mama, don’t be blue, I’ll come back for you) berührt und von Sara Watkins überaus feinfühlig gespielter Violine veredelt wird.
Die Bewunderung für das Songwriting von Parker und Berkeley und ihr Zusammenspiel wächst mit jedem Lied. Da haben sich zwei gesucht und gefunden, vermittelt das gesamte Album. Das zarte, förmlich hingehauchte „Cobbler’s Hill“ unterstreicht diesen Eindruck ein weiteres Mal. Der Humor der beiden tritt im beschwingten, mit Akkordeon bestückten Walzer „The Man With Two Wives“ zutage, dessen „ladadada“ Singalong in bester Folktradition ist.
Und dann kommt der Übersong dieses filigranen Schönklangwerks, der mich förmlich umhaut. Das Liebeslied eines geläuterten Mannes, der seine angebetete „Louise“ sehnsuchtsvoll anfleht, ihm doch wieder die Tür zu öffnen und der verflossenen Liebe eine zweite Chance zu geben. Abermals von Sara Watkins Fiddlespiel vollkommen verziert. Wen das nicht zu Tränen hört, der kann nur ein Herz aus Stein haben. Mein absoluter Love Song des Jahres, wahrhaftig, anrührend, zum Niederknien herzerwärmend.
In den „Morning Fields“ lassen Son of Town Hall die Sonne aufgehen, die durch einen Geigenhimmel strahlt, erinnern an Simon and Garfunkel und deren legendäre Songkunst. „Holes In A Western Town“ ist Traditionspflege in Reinform, Folk fürs Lagerfeuer von Cowboys. „The Song You Never Heard“ schließlich schlägt die Brücke zum Freiheitsgedanken, der solche Freigeister und Globetrotter antreibt, von Kontinent zu Kontinent zu tingeln, mit Mitsang-Liedgut im Gepäck. Waldhorn und Streicher setzen hier noch ein letztes Glanzlicht auf ein famoses Debütalbum, das ich liebe liebe liebe.
Ach ja, eine äußerst interessante Fußnote noch zuletzt. Parker und Berkeley haben ihr Debütalbum einem gewissen Poppa Neutrino gewidmet, „whose adventures inspired us to dream.“ Ich wollte umgehend wissen, wer da so inspirierend gewirkt hat und stieß auf den ungeheuer spannenden Lebenslauf eines modernen Nomaden, Floßbauers und Musikers, der ein freies Leben ganz außerhalb jeder Konvention führte, dokumentiert in dem Film „Random Lunacy.“
Und siehe da, prompt wurden auch meine letzten Zweifel ausgeräumt, ob es das Schiff „Son of Town Hall“, auf dem das Musikerduo sich kennengelernt und danach benannt hat, tatsächlich gibt. Kein Seemannsgarn, sondern es handelt sich um das selbst gebaute Floß eben jenes Poppa Neutrino, der damit über den Atlantik schipperte. So famos wie dessen außergewöhnliche Lebensgeschichte ist auch die Musik von Son of Town Hall. Unbedingt hören, schockverlieben, weiterempfehlen!
Hallöchen!
Mir und meinem Mann ging es genauso wie dir :-). Schockverliebt trifft es genau auf den Punkt. Ihre Musik hat mein Herz und meine musikalische Ader sehr berührt. Das Konzert auf dem Schiff in D-dorf hat uns sehr begeistert. Zwei herausragende Persönlichkeiten. Derzeit auf dem Weg zur Nordsee läuft ihre CD 🙂 im Auto (the man with two wifes). Herrlich. Hoffentlich kommen sie nächstes Jahr wieder. Wir sind dabei.
Freundliche Grüsse sendet Andrea Schneider aus Ratingen
Liebe Andrea,
vielen Dank für Deine Nachricht. Freut mich, dass Ihr Gleichgesinnte seid, die sich an dieser Musik und den liebenswerten und zugewandten Charakteren erfreut. Dann mal eine schöne Reise an die Nordsee mit den guten Son of Town Hall als musikalische Wegbegleiter.
By the way. Ich denke, dass meine heutige Rezension des Albums von Leslie Kernochan auch Euren guten Musikgeschmack treffen dürfte. Erscheint zwar erst nächste Woche das Album „The Hummingbird Revolution“ (8.11.), kann ich Euch aber dringend ans Herz legen. Auch ein sehr beseeltes Album mit einem sehr positiven Spirit. Alles Weitere in meiner Plattenrezension.
Euch eine gute Zeit im Norden.
Herzliche Grüße von Tom, dem Ohrtrommler