Nicht erst seit Nick Hornby weiß man, dass musikalische Sozialisierung in so manchem Künstlerleben eine wichtige Rolle spielt. In den ersten vier Bänden der neuen Kiwi Musikbibliothek (Verlag Kiepenheuer & Witsch) war es vornehmlich Musikern vorbehalten, über Musiker zu reflektieren.
Das wird den einen oder anderen Fan sicher freuen, wirklich erhellend war das bisher nicht. Anders allerdings, wenn sich echte Literaten ihren musikalischen Idolen nähern. Das fördert dann so kurzweiligen Lesestoff zutage wie Klaus Modicks Erzählung mit dem Titel „Leonard Cohen“.
Von den Sehnsüchten eines Adoleszenten
Der herausragende Erzähler Modick(Das Grau der Karolinen, Der kritische Gast, Konzert ohne Dichter) zeigt, wie es geht. Der Autor versetzt sich einfühlsam in die Empfindungen des heranwachsenden Lukas. Seine Coming of Age-Geschichte spiegelt jugendliche Sehnsüchte, die sich um die erste Liebe und sexuelle Begegnung drehen.
Wer kennt es nicht aus eigener Erfahrung, dieses emotionale Zentrum der Verwirrung der Gefühle. Den Wunsch nach Überwindung der Unschuld auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Für viele wie für mich war die Musik der Sechziger und Siebziger Jahre das diese Entwicklung beflügelnde Aphrodisiakum und Mittel zur kommunikativen Verständigung. Hörte man die gleiche Musik, gehörte man auch schon ein Stück weit zusammen.
Ständige Begleiter von Lukas sind ebensolche Songs aus dieser Zeit, vor allem jene von Songwriter-Legende Leonard Cohen. Dessen frühe Alben und „Selected Poems“ bilden sozusagen die Leitlinie und Orientierung für Modicks Protagonisten. Lukas Wahrnehmung auf Welt, Liebe und erotische Versprechungen verändert sich nämlich schlagartig bei seiner ersten, zufälligen Begegnung mit dem Kultsong „Suzanne“.
Liebeserfüllung auf einer griechischen Insel
Wie Cohens legendäre Liedzeile „For you’ve touched her perfect body with your mind“ zum libidinösen Mantra von Lukas wird und ihn in erste zarte, aber auch enttäuschende romantische Begegnungen führt, hat mich an meine eigenen Sturm und Drang Zeiten erinnert. Mädchen, Musik und Poesie als Konzentrat brennender Ungeduld und zunehmenden Reifens, Liebeskummer inklusive.
Eine besonders schöne und berührende Wendung in Modicks kleinem, feinem Buch ist, dass er Lukas die lang ersehnte Erfüllung ausgerechnet auf einer griechischen Insel finden lässt. Verbunden mit einem bittersüßen Abschiedsschmerz, wie wir ihn wohl alle kennen. Eng verwoben mit einer unsterblichen, weil im Nachgang idealisierten Erinnerung an die große unbeschwerte Liebe.
Im Schlussszenario vom Modicks Geschichte sieht man unmittelbar Cohen und seine Muse Marianne Ihlen auf Hydra vor seinem geistigen Auge. Man spürt über das literarische Medium Lukas der Intensität dieser großen Amor Fou nach, die Cohen zu einigen seiner schönsten Gedichte und Songs inspiriert hat. Was kann ein Buch besseres leisten als nostalgische Empathie mit dem eigenen Leben und seinen Ikonen heraufzubeschwören.
Zur Erweiterung und Vertiefung dieses Lesegenusses empfehle ich die filmische Dokumentation „Marianne & Leonard. Words Of Love“ von Nick Broomfield, die kürzlich auf DVD erschienen ist. Auch sie widmet sich dieser großen Liebe und späteren innigen Freundschaft, die bis in den Tod von Ihlen und Cohen Bestand hatte.
Ach ja, eine dringliche Bitte noch: Bestellt Buch und/oder DVD statt bei Amazon lieber beim Buchhändler oder Musikhändler Eures Vertrauens, die sicher zur Zeit auch einen Lieferservice anbieten. Die brauchen in diesen Tagen Eure Unterstützung mehr denn je.