Vorfreude ist die bekanntlich die schönste Freude. Morgen am 12. Juli beginnt die Düsseldorfer Rheinkirmes, die seit meiner Kindheit ein Sehnsuchtsort meiner Phantasie ist. Auch wenn ein Kirmesbummel – im Gegensatz zu meiner Jugendzeit – mittlerweile ein vor allem für Familien kostspieliges Vergnügen ist, ist das Volksfest alljährlich ein Publikumsmagnet – ein unverzichtbareres Sommerevent.
Besonderes Vergnügen bereitet es mir stets, in den Tagen vor der Eröffnung über das Kirmesareal zu flanieren und dem geschäftigen Treiben der Schausteller und der Monteure zuzusehen, wie sie den bunten Rummel-Traum Stück für Stück entstehen lassen. Dieser Aufbauprozess hat eine besondere Atmosphäre, durch die ich mich gerne treiben lasse. Inmitten von Trucks, Kränen und Kulissen beginnt die bunte Welt der Fahrgeschäfte und Buden vor meinem inneren Auge langsam lebendig zu werden.
Obwohl noch im Dornröschenschlaf, sehe ich bereits die vertrauten Bilder vor mir, die mich seit der Kindheit in meiner Heimatstadt begleiten. Ich erahne die ab morgen beginnende Kakophonie aus fröhlich-erstaunten Kinderstimmen, hysterisch spitzen Mädchenschreinen, Karussellhupen, den dumpf-verzerrten Mikrofonstimmen der zur nächsten Fahrt animierenden Schausteller und sich überlappenden Musiken.
Hier überschlägt sich Sweets „Ballroom Blitz“ im wilden Rhythmus der Wilde-Maus-Gondelbewegunden, dort lockt das „Sexy Thing“ von Hot Chocolate die Mädchen in abhebende rotierende Tower-Höhenflüge, Helene Fischers unvermeidliches „Atemlos“ fliegt mir Kettenkarussellrunde um Runde um die Ohren und Lady Gagas „Pokerface“ trifft mich im Vorübergehen an der unbezwingbaren Boxbude wie ein Aufwärtshaken. Die Kirmes tönt wie eine gnadenlos gestrige Jukebox, deren Plattenwechsel sich anscheinend durch das ständige Anrammen von Autoscootern vollzieht.
Es hagelt blitzende grellbunte Lichter in meinen von Attraktion zu Attraktion springenden Blick, der sich durch den Dschungel aus Menschen, Maschinen und Fressbuden kämpft. Das Angebot der Volkfsbestbelustigungen reicht von beschaulicher Tradition wie der umvermeidlichen Schiffsschaukel bis zur spektakulären Mutprobe in den Schienen- und Loopinglabyrinthen der Achterbahn. Man kann vorwärts oder rückwärts Runden drehen, auf dem Kopf stehen oder alles zugleich.
Wenn einem danach ist, kann man mit dem Vorschlaghammer den Lukas hauen bis der helle Klingelton der Schelle sich kurz in den schrillen Geräuschpegel mischt. Oder man reiht sich ein bei den Lucky Losern am Schießstand, die glatt ihren gesamten Geldbörseninhalt verballern, nur um dem halbwegs hübschen Mädchen an ihrer Seite mit einer Kunststoffrose zu imponieren. In den Gewehren scheint offenbar mehr Luftdruck zu sein als in den Hirnen der Möchtegerne-Schützenkönige.
Nietenziehen aus der Plastikeimerlostrommel ist auch immer noch beliebt, besonders bei Familienvätern, die – wenn sie Glück haben, das zugleich Pech ist – stundenlang ein hässliches Riesenstofftier durch und über die Menschentraube auf der Kirmes wuchten müssen. Büchsen oder Ringewerfen hält sich ebenfalls wacker im Wettbewerb der geldwerten Verlockungen und der Staub auf der Jumboflasche Billigsekt zeugt davon, dass hier schon Jahrzehnte niemand mehr die Pulle getroffen hat.
Die Geisterbahn versucht mit ihren kunstblutverwundeten Figuren Schrecken zu verbreiten, der dem horrorerprobten Publikum nicht ansatzweise „Saw“ oder „Halloween“ Gänsehaut zu erzeugen vermag. Alles längst überkommener Kirmeszauber, der am Rande des High-Tech-Rummels weiter sein karges Schattendasein führt, aber wenigstens noch Geist und Würde des ursprünglichen Schaustellerwesens atmet.
Die süßen Düfte von Popcorn, Zuckerwatte und gebrannten Mandeln dringen in die Nase, konkurrieren mit den Fettgerüchen von Backfisch, Reibekuchen und Bratwürsten um meine Gunst, wollen mich zum Kalorienchampion des Tages zu machen. Ja ja, der Spaß geht durch den Magen. Die Liebe natürlich auch. Davon zeugen die unzähligen Lebkuchenherzen mit Zuckergusssprüchen. Darauf schnell noch einen kandidierten Apfel, ein Softeis und eine in Schokolade getauchte Banane am Stiel.
Das drohende Sodbrennen am besten gleich mal mit ein paar schnellen Gläsern Alt auf Ex bekämpfen. Die Bierzelte der Düsseldorfer Brauereien sind proppenvoll mit Vergnügungssüchtigen, von denen die/der eine oder andere ein paar alkoholische Umdrehungen plus Fahrumdrehungen zuviel hat und prompt als obligatorische Bierleiche den stets freundlich beflissenen Rettungssanitätern zur wieder zu belebenden Last fällt. Volle Dröhnung plus zucker- und fetthaltige Mischkost ergeben nun mal die maximale Übelkeit, die sich hinter mancher Wohnwagennische auskotzen muss. Verschwommener Blick auf Schlossturm gegenüber inklusive.
Natürlich fehlt auch das Schild „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ nicht, der in der Regel ein verschwitzter, tätowierter und mitunter notgeiler Kerl ist, der mit seinem dreisten Zahnlückengrinsen hübschen naiven Mädels auf die Pelle rückt, die solche ungelenken Schmeicheleien mit albernem Gegacker kommentieren. Wie üblich hängt der Gelegenheitsarbeiter-Aufruf an einem der Fahrgeschäfte, die in wellenförmigen Runden bei gesteigertem Tempo den gemeinen Drehwurm verursachen, der einen beim Aussteigen kurz wanken und den Gleichgewichtssinn Taumelschritt für Taumelschritt wiederfinden lässt. Selbstredend mit einem dämlich erleichterten und befreiten Grinsen im Gesicht. So muss das Momentum Glück aussehen, das man umgehend für die Ewigkeit polarisieren will.
Wie gesagt, die Kirmes beginnt erst morgen. Aber mir ist, als hätte ich jahrzehntelang dieses bizarre bunte Treiben mit all seinen magischen Momenten und absurden Auswüchsen so tief inhaliert, dass die Realität meine Vorstellung nicht mehr übertreffen kann. Und während ab morgen wieder Millionen Menschen auf die Rheinwiesen strömen, werde ich still und vergnügt über meine Kopfkirmes schlendern, wo bereits die Zündschnüre für das große Abschluss-Feuerwerk glimmen.
Euch allen viel Spaß vom 12. bis zum 21. Juli auf der größten Kirmes am Rhein.