Bonjour tristesse – Jungstötters Mollancholien

Kaum hat man Jungstötter die ersten Zeilen von „Silence“ singen hören, rattert das Musikliebhaberhirn durchs innere Stimmenarchiv und findet zuhauf namhafte Vergleichsgrößen in den Auslagen der mit Baritonwatte ausgeschlagenen Edelpop-Vitrinen. Von Scott Walker über David Sylvian bis zum jungen Bryan Ferry reicht die illustre, durchweg hochwertige Referenzliste. Nicht schlecht für das Solodebüt eines 28jährigen, der (Überraschung!) aus dem rheinland-pfälzischen Landau stammt.

„Love is“, Fabian Jungstötters gerade erschienener Erstling, dürfte sich auf Anhieb eine Spitzenposition in den Newcomercharts des Jahres sichern und hat zudem beste Aussichten, mit der goldenen Pathosmedaille am Samtband ausgezeichnet werden. Ich meine das ohne jede Ironie, denn das gesamte Album ist sowohl in Sachen Songwriting als auch vom Reifegrad her beeindruckend. Zumal ich ein großer Freund solch feingeschmiedeter Mollkunst bin. Erst im vergangenen Jahr gehörte das in seiner Stimmung ähnlich elegante Progwerk „Book of Romance and Dust“ von Exit North, der exquisiten Band um Sänger Thomas Feiner, zu meinen persönlichen Albumhighlights.

Reichlich Schwermut im Blut und in der Kehle also hat dieser Sänger Jungstötter, der seine balladeske Melancholie mit uns teilt. Seine Hausaufgaben, wie man wirkungsvoll traurig wirkende Lieder schreibt, hat der junge Mann jedenfalls gemacht. Sicher hat er das eine oder andere Mal die Solowerke von Scott Walker zur Inspiration aufgelegt, denn mit dem längst zum Avantgardisten avancierten Musikästheten hat die pathetische Art von Jungstötters Gesang eine große Schnittmenge. Auch die zwischen den Tönen und Zeilen lauernde Fragilität ist eine Gemeinsamkeit, die den Deutschen mit dem amerikanischen 30th Century Man verbindet.

Die genannten Querverweise zu den arrivierten Bariton-Granden kann man nicht nur hinsichtlich des Gesangs ziehen, denn auch im Sounddesign gibt es die eine oder andere Parallele. So ist z. B. das reduzierte, mit Fingerpickinggitarre verzierte „Black Hair“ nahe an David Sylvian zu Zeiten von „Brilliant Trees“. Auch die ruhigeren Songs der frühen Roxy Music klingen an der einen oder anderen Stelle an.

„Wound wrapped in song“ ist – wie der Titel bereits ahnen lässt – liedgewordenes Leid, das Jungstötter in „I wonder why“ noch um den unvermeidlichen Trennungsschmerz erweitert. Dieser Track erweicht sicher die Herzen vieler junger, sich sehnsuchtsvoll verzehrender Frauen, die sich dann sogleich zur möglichen Liebesnachfolgerin des Sängers imaginieren können. Das von Jungstötter allein am Piano vorgetragene „The Rain“ öffnet dann vollends die Schleusen ins Tränenreich. Hier wirkt der Musiker wie das weibliche Pendant zu Andrea Schroeder, deren Debütalbum „Backbird“ 2012 von ähnlich emotionalem Kaliber war.

Im für mich persönlich besten Song eines insgesamt sehr homogenen Albums „In too deep“ gibt Jungstötter den charmanten jungen Bryan Ferry mit leicht arroganter Bohemian-Attitüde. Dieser Track steht prototypisch dafür, wie der junge Deutsche den eleganten Rahmen seiner Songs aus Keyboards und wohl dosierten, fein akzentuierten Drums des öfteren mit verzerrter E-Gitarre aufbricht und so geschickt dem Vorwurf des Manierismus entgeht und sich der Grenze zum Kitsch entzieht.

Vorhang zu. Licht aus.  Atempause. Lang anhaltender Applaus.
Bühne

Im März und April ist Jungstötter übrigens auf Europa-Tour, zwei Termine in Berlin sind bereits ausverkauft. Das dürfte auch bei anderen Gigs der Fall sein, wenn sich „Love is“ in den Sozialen Medien erst mal rumgesprochen hat.

Mit „To be someone else“ schließlich setzt Jungstötter seinem hymnischen Drama in 10 Akten einen würdigen, erhabenen Schlussakkord.

Seelenverwandtschaften: Scott Walker, David Sylvian, Thomas Feiner, Bryan Ferry, Anthony and The Johnsons, Nick Cave, Burkney Jack, Andrea Schroeder

https://www.youtube.com/channel/UCXE9fxlg6RXsdxWImkX7lcA

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