Das passiert auch nicht alle Tage, dass innerhalb weniger Wochen gleich zwei edle Postrockperlen erscheinen, die sehr viel miteinander gemein haben, deren Größe, Reife und Erhabenheit nachhaltig auf Gehör und Gemüt wirken. Mono aus Tokio mit „Nowhere now here“ und The Pirate Ship Quintet mit „Emitter“ verdanken wir diese beiden atmosphärischen Alben, die zu würdigen und zu empfehlen mir eine wahre Freude ist.
Über allem scheint bei beiden Bands die Heraklit’sche Formel „Pantha Rhei“ zu stehen, der philosophischen Flusslehre, laut der alles sich im Werden und im ständigen Fließen und Bewegen befindet. Die melodischen Mäander von Mono und The Pirate Ship Quintet hören sich wie die musikalischen Äquivalente zu diesem Gedankengut an.
Ich beginne mit den japanischen Postrocklegenden, die längst weltweit Kultstatus genießen und pünktlich zum 20jährigen Bandbestehen ihr zehntes Album veröffentlicht haben. Schon der wundervoll wortspielerische Titel „Nowhere now here“ nimmt mich für das Werk ein, das ich selbstredend mit Kopfhörer delektiere, um die lästigen Geräuschreize der Umwelt auszublenden.
Ihren Hang zum Symphonischen befriedigen Mono mit einer breiten Orchestrierung ihres klassischen Rock Set ups, ohne diese überbordend üppig einzusetzen. Weniger ist mehr, alles ist der Melodie untergeordnet, sie sich langsam entwickeln muss in diesem Kosmos von nur begrenzt eruptiven Klängen. Die Atmosphäre ist zumeist melancholisch, mit Nuancen von Romantizismus versehen, durchaus heller als das Album der britischen Konkurrenten.
Einzelne Tracks hervorzuheben macht bei solchen Alben im Grunde wenig Sinn, leben Sie doch davon, als Gesamtkunstwerk am Stück gehört zu werden. Dennoch verdienen im Fall von Mono die längeren Tracks besondere Erwähnung, weil sie den Raum zur Entfaltung bieten, den derartig minimalistische Musik nun mal braucht, um magische Momente zu erzeugen. Das Titelstück sowie „Sorrow“, Meet Us Where The Night Ends“ und das finale „Vanishing, Vanishing Maybe“ sind darum konsequenterweise meine Anspieltipps.
„Nowhere now here“ verfügt über einen melodischen Flow, der sich wie in einer Meditation auf den Hörer überträgt. Man spürt, wie sich mit jedem Ton mehr innere Ruhe einstellt und ausbreitet, wie sich die klangliche Spannung zur persönlichen Entspannung transformiert. Ohne Frage ist dieses Opus ein Highlight im Kanon von Mono.
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Oh Cello!
Deutlich dunkler ist die Grundfärbung bei „Emitter“, dem neuen Album von The Pirate Ship Quintet. Auf ihrem erst dritten Werk gelingt der Band aus Bristol ein lückenlos faszinierendes Album, das im Wesentlichen von der Kraft geprägt ist, die aus der Ruhe stammt. Was nicht heißt, dass es durchweg verhalten zugeht, die Idylle trügt, sobald hinter zarten Gitarrenfiguren die Explosion lauert, die dann das Etikett Postrock rechtfertigt. Gleich der Opener „First“ ist so angelegt, dass vor dem kurzen heftigen Sturm sich erst einmal viel schön klingende Stille breit macht.
Das knapp 17minütige „Companion“ umgarnt den Hörer lange mit zarten Cellotönen und elysischem Chor ehe es auf der Zielgeraden auszubrechen wagt. Der Titelsong ist eine auf feinen Drumpfoten und Saxophontatzen sich anschleichende Wildkatze, die zunächst sanft vor sich hin schnurrt, um zum Schluss kräftig die Zähne zu fletschen. Majestätisch schreitet dieses Album Schritt um Schritt voran und nimmt einen gefangen mit dieser latenten Aura von Einsamkeit, in die sich aber immer wieder Funkenflüge von Hoffnungsschimmern verirren, vornehmlich in Form von Celloschleifen, die überirdisch schön sind.
Ja, „Emitter“ lebt zuerst und vor allem von diesem klassischen Instrument, das von Sandy Bartai (Mitglied des London Symphony Orchestra and BBC National Orchestra of Wale) virtuos in das Sounddesign eingebettet wird und mit seinem wehmütigen Lamento das gesamte Album und Klangbild der Band entscheidend prägt. Das Cello als Circe, die sich betörend schön aus diesen verwahrlosten Klanglandschaften erhebt und darüber hinweg schwebt als goldenes sonisches Flirren. Wie die trugbildhaft schillernde Fata Morgana einer fruchtbaren Oase, die ein Verdurstender in der Wüste halluziniert.
„Symmetry Is Dead“ ist die postrockende Krönung dieses bravourösen Zusammenspiels von Klassik und Progression, dem Wechselspiel von Laut und Leise, ein fulminanter Track, der das Niveau des Albums in schwindelerregende Höhen zieht. Ein neuer Leuchtturm des Genres, der so manch seelisch schwankenden Schiffbrüchigen sicher durchs tiefste Dunkel in Geborgenheit leitet.
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Fazit: Zwei Alben, die in keiner Postrock-Sammlung fehlen dürfen, die etwas auf sich hält.