Eines meiner Lieblingsalben aus dem Jahr 2017 ist „A Calm Sun“ der Songwriterin Lesley Kernochan aus Santa Monica, das ich bis heute oft und gerne höre. Dieses feine Werk an der Schnittstelle von Folk und Country ist ein wahres Kleinod an Americana-Melodien, die zugleich Tiefe und Leichtigkeit besitzen. Als ich Lesley im Zuge des Releases live im Club des Kölner Kulturcafés „Lichtung“ erleben durfte, entdeckte ich eine glänzende Performerin mit Entertainment-Qualitäten, im Kontakt mit dem Publikum, charmant, eleoquent, humorvoll, schlicht sympathisch.
All diese positiven Wesenszüge finden sich auch in Kernochans Musik wieder. Auf wunderbare Weise demonstriert sie das auf ihrem neuen, famosen Album „The Hummingbird Revolution“ (VÖ 8.11.2019), das an das tolle Vorgängerwerk anknüpft und das Spektrum ihrer musikalischen Fähigkeiten beeindruckend erweitert um Jazz, Blues, World Music-Bezüge. Und was vor allem herauszustellen ist, ist das durchgehende positive thinking, das sich in den poetischen Texten offenbart. Das Versprechen This is a prayer for peace, wie Lesley im Titeltrack annonciert, löst die Kalifornierin durchgehend ein. Mit zehn ausnahmslos hochklassigen Songs, die als Liebesbriefe angelegt sind.
Zu ihren Intentionen für dieses Werk äußert sich Lesley folgendermaßen: „After reading Thich Nhat Hanh’s book Love Letter to the Earth, I thought “I want to write a love letter to the Earth! A musical love letter!” And so I did. It’s called The Hummingbird Revolution, made up of ten different love letters in song form. Love letters to people, things, plants, animals, sun, rain, fruit, being.“
Und die Titelgebung des Albums erklärt sie mit Worten, wie ich mir wünschte, sie in diesen Zeiten grassierenden destruktiven Wahnsinns öfter zu hören: „It seems to be a powerful time for Homo sapiens. We are being called to invent profoundly new ways of existing so as not to destroy ourselves. From where I’m standing, this revolution is a heart-based one in which we stop pushing everyone away to get to the top, and come back down to the dirt to listen, to cultivate genuine wellness, to respect the planet and each other. The little hummingbird is a warrior, with the largest heart relative to its body size of the animal kingdom. In the front cover, even the speedy hummingbird stops, sits, and contemplates the moon. „
Ohne einen Ton gehört zu haben, bin ich bereits jetzt begeistert von der Künstlerin Haltung und tauche positiv gestimmt ein in diese sanfte musikalisch angelegte Revolution. „Kansas Twine“ shuffelt sich gleich mal locker-lässig mit einer wunderschönen Melodie und leicht angehauchter Latin-Gitarre ins Gehör. Lesleys Whistling im Song macht auch sofort ihre Absicht klar, auf diesem neuen Album nur positive Gefühle zu vermitteln. Und die Textzeile „Every little thing is a love story“ würdigt das Momentum und auf demütig-dankbare Weise das Sein. Großartiger Beginn, der mich gleich ans Herz fasst und an die Hand nimmt.
Im Anschluss gibt Kernochan ihrer jazzy side Raum. „Inside this kiss“ ist ein schwoofender Clubschunkler im 20er/30er Jahre Stil, der elegant übers Parkett tänzelt. Barpiano und Cabaret-Saxophon geben den Ton an. Schon hat Lesley mich in beschwingte Stimmung gebracht und ich neige dazu, mir schon am frühen Morgen einen Brandy zu gönnen und die Augen Ausschau nach einem kleinen harmlosen Flirt halten zu lassen.
„Baby Loon“ begibt sich als Folk-Pop Song raus in die Natur. Tierrufe begleiten die Stimme der Sängerin, die auch atmosphärisch die Welt draußen nach drinnen holt. Die Instrumente ziehen idyllische Landschaften auf, hier ein stiller See, dort ein bewaldeter Hügel, von jungen Singvögeln bewohnt. Schon habe ich den dringenden Wunsch, einen Herbstspaziergang zu machen und die Sinne weit zu öffnen für das Wesen der Welt. Eine Zauberin, diese Lesley.
Wie ein frisch verliebtes Herz pocht „Little Big Bang“, schwärmt einen Jungen an, doch mehr als Freundschaft zu wagen. Wahrlich ein love letter, wie man ihn kaum zarter und zugleich eindringlicher schreiben kann. Wäre ich besagter Junge, ich würde umgehend schwach werden und Lesley umarmen. Als flottes Country-Ding entpuppt sich „Friendship Prayer“, mit Euphorie von der Musikerin gesungen und gesummt. Unglaublich, was diese Frau an Melodien auf Lager hat, die einen sofort packen. Und auch hier wieder friedvolle, versöhnliche, Gegensätze verbindende Lyrics: there’s a bluebird beside the crow. Vollkommene Harmonie in Wort und Ton.
In einem mittelalterlich anmutenden Sound Setting feiert Lesley das Leben im nächsten Song. „Heaven Is on Earth“ ist Folk-Schönklang vom Allerfeinsten mit spinettartig anmutenden Gitarrenklängen. Die Sängerin verwandelt sich in eine Elfe aus dem Sommernachtstraum, die zarte Weisen ins Ohr träufelt. Mir fällt spontan der Tagebuchtitel „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ein, in dem Christoph Schlingensief 2009 seinem nahenden Krebstod mit aufrichtiger Liebe zum Leben entgegentrat. Solche Gedanken, solche Gefühle braucht es in einer dunkler werdenden Zeit.
Bluesy tunes erwarten uns auf „Maiden Of The Gray Fortress“, die Trompete ist jazzmäßig gestopft und könnte auch aus einem Melody Gardot Songumfeld stammen. Unglaublich, welchen stilistischen Facettenreichtum Miss Kernochan an den Tag legt. An jeder Ecke lauert eine neue Überraschung, fordert und fördert die permanente Aufmerksamkeit des Hörers, dass einem auch ja kein Detail entgeht. Ich sage nur „Wow“!
Der Titeltrack ist wie der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings, der die Welt in Bewegung versetzen kann. Bei Lesley freilich nicht in Erschütterung, sondern in Entrückung, Verzückung, Verzauberung. Bei dieser friedlichen Revolution bin ich sofort dabei, weil es genau darum geht im Zusammenleben zwischen uns Menschen und unserer Natur. Liebe, Respekt, Achtsamkeit. Oh Lesley, what a wonderful prayer. Jubilee!
„Midnight“ hat tatsächlich die Lichter gedimmt und schleicht auf kräftigen Folkrock-Pfoten erhaben durch die Dunkelheit wie der Panther durch Rilkes berühmtes Gedicht. Hymnisch, mit Streichern und native indian chants angereichert auch dieser Song ein Gänsehaut erzeugender Höhepunkt, archaisch nahezu. Dass Lesley in diesem Kontext gerade auch den „Hütern der Erde“ eine Stimme gibt, spricht für die Glaubwürdigkeit, die seelische und geistige Tiefe ihres Albumkonzepts. Der neunte Volltreffer bereits nacheinander. Schon beschleicht mich etwas Traurigkeit, das mit dem nächsten Lied dieses kleine Meisterwerk endet, könnte ich Lesley Kernochan doch bis in alle Ewigkeit lauschen.
Das abschließende „True Love“ entlässt mich mit seiner Wärme und Sanftmut wieder ins eigene Leben mit dem festen Willen und Glauben, dieses noch mehr als bisher als großes Geschenk wertzuschätzen. Lesley Kernochan und ihren magischen Songs sei Dank! Ganz ganz großes Album, das sich sofort in den Favoritenkreis meiner persönlichen Albenbestenliste des Jahres katapultiert hat.
Wenn es noch eines Beweises von Kernochans Klasse bedarf, höre man sich den wundervollen Crossover-Folk-Song „Sally Morning Tea“ an, den Lesley 2018 zusammen mit den Freunden Basel Khoury (Vocals, Cajon), Netanel Lesser (Oud), Luke Solman (Trumpet) und David Chapman (Bass) in Nevada aufgenommen hat – eine herzerwärmende, brillante Musikperle!
Auf meine Facebook-Anfrage hin hat Lesley mir mitgeteilt, dass sie voraussichtlich im Februar 2020 auf Deutschland-Tour sein wird. Sollte sie in meiner Region auftreten, bin ich ganz sicher dabei, um mich persönlich bei ihr für diese Schatztruhe an positiver Energie zu bedanken.