Wasser ist die elementare Grundlage unseres Lebens, 71 % der Erdoberfläche, 60 – 65% unseres Körpers bestehen aus Wasser. Wenn Joe Henry sein neues Album „Das Evangelium nach Wasser“ tauft, hat das existenzielle Bedeutung, physisch wie spirituell. Denn die neuen Songs des amerikanischen Songwriters sind in Folge eines Ausnahmemoments entstanden, nach einer Krebsdiagnose im vergangen Jahr.
Möglichst roh, so ursprünglich wie zum Zeitpunkt des Auftauchens der Songs in ihm wollte Joe Henry „The Gospel According To Water“ belassen. Das karge, fast spröde „Famine Walk“ zu Beginn gibt einen ersten Eindruck davon, was gemeint ist. Nur Gesang, Akustikgitarre und zum Schluss mischen sich ein paar Pianotakte ein. Fertig! Als würde Joe auf einem knarzenden Stuhl auf der Veranda vor seinem Haus sitzen, die Gitarre auf dem Schoß und in die Abendsonne vor sich hin singen.
Auch der Titelsong hört sich an, als würde man dem Songwriter beim Nachdenken zuhören. Angesichts der Hintergründe der Albumentstehung strahlen die Lieder eine ungeheure Ruhe, Furchtlosigkeit und Gefasstheit aus. Das ganze Album trägt diesen selbstreflexiven, leicht in sich gekehrten Charakter. Was Wunder, wenn man lebensbedrohlich erkrankt ist. Aber Henry Songs wirken nicht wehleidig oder gar verzweifelt. Es klingt eher, als würde er eine Kerze durchs Dunkel tragen, die den vor ihm liegenden Weg erhellt und Zuversicht ausstrahlt – eine Flamme puren Lebenswillens.
Auf „Mule“ zeichnet Joe’s Sohn Levon, der nun schon seit mehreren Alben sein treuer musikalischer Begleiter ist, schöne Klarinettenlinien über den ebenfalls getragenen Song. Mit Inbrunst trägt Joe im Anschluss eine Hommage an „Orson Welles“ vor, die Levon diesmal mit jazzig angehauchtem Saxophon veredelt. Das Piano perlt leicht dazu. Wenn man Musik eine innere Mitte zuordnen kann, dann in solch hoch konzentrierten Songs, die Henrys Meisterschaft im Songwriting demonstrieren.
„I came here for the funeral of our sorrow…“ eine dieser wundervoll lyrischen Zeilen, die der literarisch gebildete Henry wie nur wenige beherrscht, eröffnen „In Time For Tomorrow“. Ja, genau so tritt man dem drohenden Sensenmann entgegen, man begräbt im Angesicht seiner Gegenwart die Sorgen und bejaht das Leben. Auf Joe muss der Tod noch lange warten, wenn es nach dem Willen des Musikers geht, von dem ich inständig hoffe, das er sich erfüllt. Im Albumkontext fast ein fröhlich anmutender Song, mit abermals feinen Saxophonakzenten und positiv stimmendem Chor.
„The Fact of love“ berührt als moderner Gospel mit kristallklaren Akkorden der Akustischen und warmherzigem Begleitgesang von Allison Russell. „My eyes are closed, but they are raised, keeping light out both and in, i will cross the river days…“ Mit wenigen Worten skizziert Henry hier eine Gefühlswelt zwischen Diesseits und Jenseits. Und so wie die beschworene Liebe gehört auch der Glaube ganz selbstverständlich in den emotionalen Raum dieses Albums. Also lauscht man „Book of Common Prayer“ andächtig und spricht ein leises Gebet für die vollständige Genesung des bewunderten Künstlers.
„Bloom“ ist ein großer kleiner Song über den Wert des Lebens, über die Spuren, die man hinterlässt, über das, was man weitergibt. Die Blüte als Sinnbild von Schönheit, die man verschenken sollte, bevor sie irgendwann vergehen muss, ist treffend gewählt. Ein Lied voller Intensität, Wärme, Weitsicht, Würde. Allein dieser Song beweist schon die Größe von Joe Henrys Kunst.
Das mit einem Spieluhrintro beginnende „Gates Of A Prayer Cemetery #2“ reflektiert über den Tod und vermittelt Hoffnung auf ein Danach, „I hear them sing a lonesome song, it says the dead in here don’t stay here very long“. Gitarre, Piano und Levon Henrys Saxophon geben den Gedanken stilvolles Geleit. „Salt and Sugar“ ist ein weiteres starkes Bild für die Ambivalenz von Henrys Situation, das Leben im gleichen Moment als bitter und süß zu erfahren. Eine weitere Folkperle für das great american songbook.
Bei allem introspektiven, intimen Charakter dieser edlen Songsammlung hat man doch immer das Gefühl, dass Henry Nähe zum Zuhörer schafft statt Distanz, einem die Furcht nimmt, sich die Allgegenwärtigkeit des Todes vor Augen zu führen und Anteil zu nehmen an der existenziellen Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit.
Echte Gänsehaut befällt mich bei Joe Henrys überaus philosophischer Frage „and how will heaven know us, when we have arrived“. Was für eine sprachliche Dringlichkeit hat dieser eine Vers aus „General Tzu Names The Planets For His Children“. Der Songtitel selbst pure Poesie. „Choir Boy“ schließlich setzt den finalen Punkt unter ein abermals fabelhaftes Album des Amerikaners, wie es geerdeter und zugleich spiritueller nicht sein könnte.
Bleibt mir nur noch, meiner eigenen Wertschätzung für den von mir seit fast 40 Jahren verehrten Joe Henry die von namhaften Künstlerkollegen anzufügen, die sich auf seiner Webseite vor dem Werk dieses musician’s musician tief verbeugen und die einzelnen Songs vorstellen. Einen Besuch der Homepage kann ich nur empfehlen, vor allem den sehr persönlichen Beitrag des mit Henry befreundeten Schriftstellers Colum McCann.
Lucinda Williams: Deep and beautifully moving. A masterful artist, we need Joe Henry’s voice. Listen carefully. Listen closely. There is a spirit here. Let it speak to you.
Elvis Costello: There is enough anger, enough misery in the world. Too many tears, fires and trampled flowers, so make room in your life for some beauty like this.
Und schließlich Rosanne Cash: These are simple, wise and sonically gorgeous songs…
Spätestens mit diesem Album am seidenen Faden des Seins ist es höchste Zeit, den herausragenden Songpoeten Joe Henry in einem Atemzug mit Bob Dylan, Leonard Cohen und Tom Waits zu nennen. Ich verneige ich mich vor der Schönheit und Tiefe von Joe Henrys Schaffen und wünsche ihm von Herzen Gesundheit und viele viele inspirierte Jahre, damit er uns noch lange mit seiner einzigartigen Songwriting-Magie beschenken kann.